Du liest Kindern gerne vor und fragst dich, wie man lebhaft und richtig vorliest? Hier findest du Tipps, um deine Vorlesefähigkeit zu verbessern. Du erfährst, wie du mit deiner Stimme Figuren und Geschichten zum Leben erweckst. Die Kniffe helfen dir zuhause, aber auch beim Lesen vor größeren Gruppen, wie zum Beispiel im Kindergarten und in der Schule.

Mutter und Sohn auf der Couch beim Vorlesen

Als Kinderbuchautorin halte ich regelmäßig Lesungen vor Gruppen mit einer Größe von 25 bis 80 Kindern. Meinem eigenen Sohn lese ich seit Jahren vor. Während der Ausbildung zur TV-Redakteurin kam ich in den Genuss einer Sprecherziehung für professionell Sprechende. Dieses Wissen und Erfahrungen fasse ich hier für dich zusammen. 

Tipps für lebendiges und richtiges Vorlesen im Überblick:

Alexandra Wagner während Lesung im Stehen

Das bin ich bei einer Autorenlesung an der Grundschule (Königsmoos). Meistens stehe ich beim Vorlesen und bewege mich, damit mich alle Kinder möglichst gut sehen. Lese ich meinem Sohn vor, kuscheln wir uns zusammen.

Richtig vorlesen: Mit Spaß und aufrechter Haltung rangehen

Behalte stets im Hinterkopf: Vorlesen ist kein ernster Akt. Es soll vor allem Spaß machen – den Kindern und dir. Gehe mit dieser Einstellung sowie Elan und Freude an die Geschichte und das Vorlesen ran. Deine Stimmung und geistige Haltung übertragen sich auf die Kinder, denen du vorliest.

Du liest vor einer Gruppe? Dann nimm eine möglichst aufrechte Körperhaltung ein, damit sich deine Stimme entfalten und die Atmung frei fließen kann. Außerdem zeigst du damit Präsenz, was die Aufmerksamkeit des Publikums erhöht.

Vorlesegeschwindigkeit und Aussprache

Das Wichtigste beim Vorlesen ist, dass man dich richtig versteht.

Ob das der Fall ist, hängt von drei Faktoren ab:

  1. Vorlesegeschwindigkeit bzw. Sprechgeschwindigkeit
  2. Deutliche Aussprache
  3. Ausreichende Lautstärke

Sprechgeschwindigkeit

Achte darauf, nicht zu schnell zu lesen. Das kann schon mal passieren – zuhause, weil der Alltag vielleicht gerade stressig ist und du in Eile bist. Bei großen Gruppen verleitet die Aufregung manchmal dazu, zu schnell vorzulesen. (Kenne ich aus eigener Erfahrung.) Lese also bewusst vor und fokussiere dich darauf. Versuche, nicht an andere Sachen zu denken, sondern höre dir selbst aufmerksam zu. Eine zu hohe Sprech- und Lesegeschwindigkeit wirkt sich zudem meist negativ auf die Aussprache aus.

Lese aber auch nicht übertrieben langsam. Das wirkt langweilig und einschläfernd. Das gilt vor allem für Kinder ab der 3. oder 4. Klasse bzw. Kinder, die häufig digitale und soziale Medien konsumieren. Hast du schon mal gehört, wie schnell YouTuber:innen und TikTok:erinnen sprechen? Auch in manchen Kinderserien wird rasend schnell gesprochen. Je älter die Kinder und je häufiger der Medienkonsum, umso mehr sind sie ein hohes Sprechtempo gewohnt. Du kannst also ab und zu die Vorlesegeschwindigkeit anziehen.

Aussprache

Beim zu schnellen Vorlesen verschluckt man Wortendungen, verhaspelt oder verliest sich. Das stört den Zuhörfluss.

Achte beim Vorlesen darauf

  • deutlich zu artikulieren.
  • Mache kurze Pausen bei Punkt und Komma, um die Sätze zu strukturieren.
  • Betone Satzenden passend zu den Satzzeichen: Beim Punkt mit der Stimme nach unten. Bei einem Fragezeichen mit der Stimme nach oben.
  • Verstelle deine natürliche Aussprache beim Vorlesen nicht, wenn du dich dabei unwohl fühlst. Ich zum Beispiel rolle das „R“ und rolle es auch bei Lesungen. Würde ich es nicht rollen, käme ich mir umauthentisch vor. Bei der Vertonung von TV-Beiträgen habe ich das „R“ allerdings nicht gerollt, sondern das Zäpfchen-R gesprochen. Ich finde, dass beim Vorlesen eine regionale Färbung in der Aussprache nichts Schlechtes ist. Warum sollten wir unsere Herkunft verleugnen? Wenn du aber stark Dialekt sprichst, den die Kinder nicht verstehen, solltest du diesen so weit wie möglich „unterdrücken“.

Übung für deutliche Aussprache

Trainiere dein Mundwerkzeug. Dafür nimmst du einen Korken (z. B. einer Weinflasche) zwischen die Zähne und sprichst oder liest einen Text laut. Versuche trotz des Hindernisses im Mund so deutlich wie möglich zu sprechen.

Lautstärke

Die generelle Lautstärke, in der du vorliest, ist umso relevanter je größer die Gruppe ist. Logisch. Nicht zu leise lesen! Dabei helfen dir eine aufrechte Körperhaltung und deine geistige Haltung. Denke: „Ich will gehört werden!“ Also: Kopf hoch, Blick ins Publikum und nicht dauernd im Buch vergraben. Dadurch wird der Ton besser in die Kinderohren transportiert.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, manchmal auch leise und flüsternd zu lesen. Das erhöht die Aufmerksamkeit. Aber die Sprechlautstärke sollte generell und meistens so sein, dass sich die Kinder nicht anstrengen müssen, um dich zu hören.

Betonung und Intonation – bitte natürlich!

Betone und intoniere möglichst natürlich, wenn du vorliest. Verfalle nicht in einen Singsang. Eine übertriebene Intonation und die Betonung unwichtiger Wörter lenken ab. Es erschwert, den Zuhörenden die Kernaussagen der Sätze wahrzunehmen und zu verstehen.

Beim Lesen vor Gruppen: Lese dir den Text vorab durch und unterstreiche dir diejenigen Wörter, die die Kernaussage transportieren. Damit beugst du einem „falschen Singsang“ vor. Je häufiger du das machst und vorliest, umso schneller erkennst du wichtige Satzbestandteile. Irgendwann kannst du lebendig und richtig „vom Blatt vorlesen“, also ohne Vorbereitung.

Professionell Sprechende, die TV-Beiträge vertonen, bereiten übrigens jeden Text in dieser Art und Weise vor – vorher durchlesen, Unterstreichungen etc.

Spiele mit deiner Stimme: laut, leise, tief, hell

Moduliere deine Stimme passend zum Text. Brülle, wenn die Figur im Buch brüllt. Flüstere, wenn sie flüstert. Zische, wenn die Figur zischt. Ist eine Aussage ironisch gemeint, lege Ironie in deine Stimme. Transportiere beim Vorlesen mit deinem Stimmeinsatz die beschriebene Handlung (wie z. B. ein Flüstern) und interpretiere den Text (z. B. durch Ironie). So werden Dialoge und Figuren aus dem Buch lebendig. Das macht es für Kinder spannend und unterhaltsam, vorgelesen zu bekommen.

Übung

Spreche folgenden Satz laut aus: „Er liebt Sonnenblumen.“ Drücke nur durch deine Stimme und Art zu sprechen aus, dass …

  1. du das neutral feststellst,
  2. du darüber erstaunt bist,
  3. du das bewundernswert findest,
  4. dir demnächst der Geduldsfaden reißt,
  5. du vor Wut explodierst,
  6. dir das Angst macht,
  7. es ein Geheimnis ist, das du hüten musst,
  8. etc.

Tipp für Fortgeschrittene und Mutige

Du kannst den unterschiedlichen Figuren je eine spezielle Art zu Sprechen zuteilen. Lass eine Figur besonders hoch und piepsig oder tief und grummelig oder nasal etc. sprechen. Bei Bilderbüchern und Vorlesebüchern ist das recht gut zu bewerkstelligen. Bei Kinderromanen wird es allerdings komplex, so dass du den Text vorher durchgehen und die Sprechstimmen der Figuren farbig markieren solltest, um nicht durcheinander zu kommen. Du kannst auch nur einzelnen Figuren eine besondere Tonhöhe oder Aussprache mit deiner Stimme verleihen.

Dialog in Kinderbuch nach Figuren fürs Vorlesen markiert

Wenn du Figuren beim Vorlesen unterschiedliche Stimmen geben möchtest, markiere dir die Textstellen farbig – so wie ich hier in meinem Kinderbuch »Antons geheime Reise mit Paul Pulli«. Du möchtest nicht ins Buch schreiben? Dann kopiere die entsprechenden Seiten.

Mimik und Gestik

Habe keine Scheu davor, beim Vorlesen Gesichtsmuskulatur und Körper einzusetzen. Transportiere mit Mimik die Gefühle der Figuren und deine eigenen Emotionen. Wenn dich etwas erstaunt, dann reiß die Augen auf und schaue das Kind an. Wird im Buch beschrieben, dass sich eine Figur am Kopf krault, kraule dich am Kopf. Durch eine ausgeprägte Mimik und Gestik wird das Vorgelesene spannender und zieht mehr in die Geschichte hinein. Menschen, in deren Gesicht etwas passiert und die gestikulieren, schaut und hört man automatisch lieber zu. 

Beim Vorlesen Grimasse schneiden

Mut zur Grimasse 😉 Vorlesen ist kein Schönheitswettbewerb, sondern dient der Unterhaltung. Blöde Gesichter finden Kinder immer lustig.

Überraschungseffekt: Schnarchen während Lesung

Verhaltensweisen der Buchfiguren nachspielen. Hier schnarche ich lauthals. Das ist immer ein Überraschungseffekt.

In Dialog und Austausch treten

Manchmal werden Kinder beim Vorlesen unruhig oder stellen unvermittelt eine Frage. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ihnen langweilig ist und sie nicht konzentriert zuhören. Oft ist es ein Zeichen dafür, dass sie mit der Geschichte mitfiebern und ihre Aufregung körperlich verarbeiten.

Trotzdem stören Fragen und Unruhe deinen Lesefluss. Zuhause oder bei einem kleinen Publikum kannst du darauf wie folgt reagieren.

Zwischenfragen zulassen

Das Kind unterbricht dich mit einer abrupten Frage? Ermahne es in solchen Fällen nicht zur Stille, sondern gehe darauf ein. Finde heraus, warum es ausgerechnet jetzt diese eine spezielle Frage stellt. Was hat diese mit dem Buch zu tun? Möglicherweise hat es sich durch das Gelesene an ein Erlebnis oder eine eigene Erfahrung erinnert. Mit dem Einwurf zeigt das Kind, dass es zu einer Transferleistung fähig ist und die Geschichte reflektiert.

Gelassener Umgang mit Unruhe und Zappeln

Wird das Kind zappelig? Forsche nach, warum. Ist das aktuelle Kapitel extrem spannend? Liegt es an einer unbequemen Sitzposition? Muss es pinkeln und will aber nicht aufs Klo, um die Geschichte nicht zu unterbrechen? Gefällt ihm die Passage nicht? Warum? Tritt mit dem Kind in einen Dialog. Das macht lebendiges Vorlesen aus. Es regt zur Reflexion an, fördert das Leseverständnis und die Lesemotivation. Hier spürt man, dass Lesen etwas in einem bewirkt. 

Fragen stellen während des Vorlesens

Den Dialog während des Vorlesens kannst du bewusst anstoßen. Das zieht das Kind noch mehr in die Geschichte hinein und sorgt dafür, dass es sich intensiv mit dem Gelesenen auseinandersetzt. Dies wiederum unterstützt das Leseverständnis.

Fragen zu stellen, funktioniert auch bei Gruppen. Selbst wenn du nicht alle Kinder drannehmen kannst, so bietet der Dialog dennoch Abwechslung und Anregung zum Nachdenken für alle.

Folgende Fragen könntest du zum Beispiel stellen:

  • Was würdest du in der Situation tun? Wie würdest du reagieren?
  • Findest du, dass sich XY (Name der Buchfigur einsetzen) fair verhält?
  • Kennst du das Problem, das XY hat? Hattest du schon einmal ein ähnliches Gefühl?
  • Weißt du, was dieses schwierige Wort bedeutet, oder soll ich es dir erklären?
  • Usw.

Interaktion

Dialog und Fragen stellen sind nicht die einzigen Interaktionsmöglichkeiten. Bewegt euch. Schneidet gemeinsam Grimassen, wenn es zur Geschichte passt. Macht die Mimik und Gestik der Figuren nach. All das trägt dazu bei, das Gelesene intensiver zu erleben. Ihr habt beim Vorlesen Spaß und das ist das Ziel.

Professionell vorlesen lernen

Nur ein paar Tipps reichen dir nicht? Du möchtest lernen, professionell vorzulesen? Dann empfehle ich dir:

Üben, üben, üben

Lese so oft wie möglich laut vor. Auch alleine nur für dich. Stell dir dabei dein Publikum vor und schaue vom Buch auf, gestikuliere, spiele mit deiner Mimik.

Filme dich mit dem Handy beim Vorlesen

Schau dir das Video nachher an. Was hast du gut gemacht? Was ist ausbaufähig? Lerne deine Schwächen kennen und arbeite daran.

Online-Seminare bei der Stiftung Lesen

Die »Stiftung lesen» bietet in ihrem »Campus-Stiftunglesen« kostenlose Online-Seminare zum Thema Vorlesen an. Damit möchte sie Freiwillige für die Leseförderung gewinnen. Es gibt aber auch spezielle Trainings für Kita-Kräfte. 

Absolviere ein Stimm- und Sprechtraining

Eine Stimm- und Sprechausbildung ist selbstverständlich kostenpflichtig, aber dort erlernst und schulst du den Einsatz deiner Sprechwerkzeuge und Stimme umfänglich sowie professionell. Du trainierst deine Stimme zu nutzen, ohne sie zu überbeanspruchen. Du erlernst eine korrekte Aussprache. Du erfährst, wie du Texte für Vorträge und Lesungen vorbereitest, und entwickelst vielleicht sogar die Fähigkeit des „Emotional Actings“, das du beim Vorlesen einsetzen kannst.

Emotional Acting

Emotional Acting ist die anspruchsvollste und professionellste Art vorzulesen. Ich erwähne es hier vollständigkeitshalber. Emotional Acting beim Vorlesen bezeichnet die Praxis, Texte so vorzulesen, dass du die emotionalen Untertöne und Stimmungen des Geschriebenen authentisch und lebhaft zum Ausdruck bringst. Man könnte es als Vorstufe zur Schauspielerei verstehen.

Es geht darum, durch Variationen in der Stimmführung, Betonung, Lautstärke und Pausensetzung die Gefühle und Atmosphären, die der Text vermittelt, für die Zuhörer:innen spürbar zu machen. Emotional Acting beim Vorlesen hat das Ziel, die Immersion (das Gefühl, in die Geschichte hineingezogen zu werden) zu verstärken und die Verbindung zwischen Text und Publikum zu intensivieren. Durch diese Art des Vorlesens machst du Charaktere und Szenarien lebendiger und greifbarer.

Emotional Acting erfordert ein tiefes Verständnis des Textes sowie eine ausführliche Vorbereitung. Diese besteht darin, sich in die Perspektiven und Emotionen der Figuren hineinzuversetzen und in Stimme sowie Sprache auszudrücken.

Vor Gruppen lesen

Vor einer Gruppe zu lesen, ist anders als zuhause im stillen Kämmerlein vor deinen Kindern. Lesegeschwindigkeit, Aussprache, Intonation und Stimmmodulation kontrollieren zu können, wird hier noch wichtiger. Daneben bringt das Vorlesen vor Schulklassen, Kindergartengruppen oder vor einem öffentlichen Publikum weitere Herausforderungen mit sich, zum Beispiel:

  • Sehen mich alle?
  • Hören mich alle?
  • Wie gehe ich mit Unruhe und Störern um?
  • Wie schaffe ich es, mich trotz Aufregung zu konzentrieren?

Den Text zu üben und mehrmals alleine laut zu lesen, ist die beste Vorbereitung. Es nimmt dir auch die Nervosität. Das gilt vor allem dann, wenn du vor Kindern liest, die du nicht kennst.

Theorie: Vorlesemethoden

Zum Abschluss noch ein bisschen Theorie. Laut »Stiftung Lesen« gibt es vier Vorlesemethoden:

  1. Dialogisches Vorlesen: Hier beziehst du die Kinder durch Fragen in die Geschichte ein (siehe oben: In Dialog und Austausch treten)
  2. Klassisches Vorlesen: Die Geschichte vorlesen, aber möglichst lebendig mit Stimmmodulation.
  3. Mehrsprachiges Vorlesen: Hier wird ein Buch nicht nur in einer, sondern in zwei Sprachen vorgelesen. Diese Methode eignet sich besonders, wenn Kinder mit einer anderen Herkunft zuhören oder die Kinder die zweite Sprache erlernen sollen. 
  4. Szenisches Vorlesen: Hier lesen mehrere Personen eine Geschichte. Jede Person übernimmt eine Rolle bzw. liest die wörtliche Rede einer bestimmten Figur. Du kannst aufstehen, dich bewegen und das Gelesene pantomimisch und mit Gesten untermalen. Natürlich kannst du auch alleine szenisch vorlesen.

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