Ruth Wahl arbeitet seit 2012 als Klinikclownin. Sie besucht schwer kranke Kinder in Krankenhäusern und Menschen in Seniorenheimen, Rehakliniken und einer Wachkoma-Station. Ihre Aufgabe ist es, Leichtigkeit, Positivität und unbeschwerte Momente in schweren Zeiten zu schenken. Im Interview erzählt sie, wie ihr das gelingt und wie wichtig es ist, den Augenblick zu leben.

Ruth Wahl in ihrer Rolle als Klinik-Clownin Citronella mit Sonnenschirm über Schulter

Als Klinkclownin „Zitronella“ bringt Ruth Wahl Sonne in das Leben von Kindern und Erwachsenen, die schwere Zeiten durchmachen. (Foto: Clemens Rudolph)

Worum geht es dir in deiner Arbeit als Klinikclownin?

Ruth: Für mich geht es um die Begegnung, um den Kontakt mit den Menschen. Wichtig ist mir, dass ich unvoreingenommen an die Kinder und Senioren herangehe. Ich kenne die Krankheitsgeschichte und die Prognose nicht genau. So kann ich unbefangen in der Situation sein und mich darauf konzentrieren, was mein Gegenüber gerade braucht. Als Clownin baue ich eine Brücke zu dem/den Menschen und es entstehen Momente der Verbundenheit, des Staunens, Lachens, miteinander Spielens, Momente, in denen wir in Aktion oder zur Ruhe kommen. Das ist jedes Mal anders.

Wofür ist deine Unvoreingenommenheit wichtig und wie schaffst du es, fröhlich aufzutreten, obwohl dein Gegenüber gerade eine schwere Zeit durchmacht?

Ruth: Das Besondere am Klinikclownin-Sein ist der Wechsel vom Alltagsbewusstsein ins Spielbewusstsein. Dieser Übergang geschieht bei mir, wenn ich meine kleine, rote Nase aufsetze. Dann wird aus Ruth Zitronella. Das ist mein Name als Clownin. Es wird ruhig in mir, etwas zentriert sich, richtet sich aus – und dann tut sich ein Raum auf. Ein Raum voller Neugier und Naivität. Das Nicht-Wissen ist für mich die größte Stärke des Clowns. So kann ich in jeden Moment neu hineingehen, ohne Bild, ohne Vorstellung, ohne Vorurteile. Ich kann dem Menschen frisch begegnen. Das ist eine Riesenchance!

Gerade, wenn Menschen in Einrichtungen, wie Krankenhäusern oder Altenheimen sind, prägt das, wie sie wahrgenommen werden oder sich selbst wahrnehmen. Als Klinikclowns – wir treten immer zu zweit auf – blenden wir das aus und fokussieren auf das Positive, auf das, was (noch) geht und was da ist. Wir tasten uns heran, testen, wofür unser Gegenüber empfänglich ist, und womit wir Resonanz auslösen. Es entstehen individuelle, berührende, bunte Momente.

Wie erlebst du diese Momente in deiner Arbeit mit Kindern?

Ruth: Für mich ist es erstaunlich, wie sehr Kinder im Moment sind. Da knüpfen wir an. Bei dem was JETZT gerade ist. Dann gibt es für diese Zeit das Davor & Danach nicht, es gibt keine Geschichte zu diesem Menschen, es gibt nur die Begegnung jetzt. Wir können die Geschichte für ein paar Momente NEU schreiben. Wir können gemeinsam eintauchen in andere Welten. Jemand anderes sein: ein Held, eine Prinzessin, ein wildes Tier … und SPIELEN.

Spielen und Fantasie sind heilsam. Denn von der Hirnforschung weiß ich: Es ist für unser Gehirn egal, ob wir uns etwas vorstellen – mit allen Sinnen – oder es erleben. Die Botenstoffe, die für GLÜCK zuständig sind, werden bei angenehmen, vitalisierenden Vorstellungen und Erlebnissen gleichermaßen ausgeschüttet.

Kannst du konkrete Beispiele für solche vitalisierenden Momente nennen?

Ruth: Eine Situation war, als wir ein 5-jähriges Mädchen und ihre Eltern auf der onkologischen Station besucht haben. Beim Betreten des Zimmers haben Zottl – das ist meine Spielpartnerin – und ich uns im Türrahmen verkeilt. Das hat das Mädchen zum Lachen gebracht. Also machten wir genau da weiter und erfanden immer wieder neue Varianten, um nicht durch die Tür zu kommen. Das Mädchen lachte immer mehr. Unser ganzer Auftritt bestand schlussendlich darin, dass wir es erst am Ende geschafft haben, in den Raum zu kommen – und dann gab es noch den Weg zurück durch diese Tür … Für die Eltern war es erleichternd und berührend, ihr Kind mal wieder so ausgelassen zu erleben.

Geht ihr auf alle Kinder gleich zu?

Ruth: Nein. Es gibt Kinder, die etwas ganz anderes brauchen. Durch die Chemotherapie und die z.T. bedrückende Situation entsteht auch Aggressivität. Dieser Kraft, die damit verbunden ist, geben wir spielerisch Raum.

Zum Beispiel haben wir lange Ballons dabei – die können sich in Schwerter verwandeln – und dann wird gekämpft. Oder mit einem runden Ballon vorne dran kann man sich richtig schön kloppen, ohne sich weh zu tun.

Ein Junge, den wir besucht haben, hatte große Freude daran, dass er auf uns einkloppen durfte. Wir sind ausgewichen und er hatte einen Riesenspaß, uns zu erwischen… Es kann auch mal ein Boxsack sein oder ein Fußball, den man durch die Gegend treten und seine Energie rauslassen und spüren kann.

Das ist eigentlich das Hauptthema: Die Kinder dort abzuholen, wo sie gerade sind, und das zu aktivieren, was gerade zu wenig da ist. Wie Bewegung oder Mut oder Zuversicht – um so wieder mehr in die eigene Lebendigkeit zu finden.

Ruth Wahl im Kostüm als Klinik-Clownin Citronell hält eine Zitrone und ein Ei in der Hand und zieht eine Grimasse

Kinder da abholen, wo sie gerade stehen und im Spiel das aktivieren, was gerade zu wenig im Leben vorhanden ist – so versteht Ruth ihre Arbeit als Klinikclownin. (Foto: Clemens Rudolph)

Mit deiner Arbeit als Klinikclownin schenkst du Freude und Mut. Welche Tipps kannst du diesbezüglich Eltern von schwer kranken Kindern geben?

Ruth: Als aller erstes habe ich großen Respekt vor dieser herausfordernden Lebenssituation, in der sich die Eltern mit ihrem Kind und gegebenenfalls Geschwister-Kindern befinden. Für mich ist es gewagt, Eltern Tipps zu geben, die in einer solchen Situation sind. Ich ziehe meinen Hut vor diesen Menschen, die für ihr Kind so stark da sind.

Ich glaube, eine wichtige Sache ist, sich selber in diesem starken Dasein nicht zu verlieren. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es sehr schwierig ist, weil man alles geben will. Aus der Bindungsforschung weiß ich, dass Kinder am besten bei uns andocken können, also ihr Nervensystem regulieren und Verbindung spüren, wenn wir fühlbar sind. Das sind wir, wenn wir anwesend sind – im Körper, mit dem Herzen. Und mir ist bewusst, dass genau das die Mega-Herausforderung ist, weil ja auch so viel Schmerz und Angst und Sorgen da sind.

Wie schaffst du es voll und ganz für die Kinder anwesend zu sein?

Ruth: Ich erlebe es für mich so, dass, wenn ich einen kleinen Landeplatz in mir gefunden habe, auch der Schmerz, die Angst … da sein können. Dann kann ich auch diese Gefühle willkommen heißen. Mein Körper entspannt dadurch – und ich sinke wieder mehr in mich.

Kinder reagieren am stärksten auf unseren inneren Zustand. Das war und ist für mich ein Schlüssel für mein Sein mit Kindern. Es ist ein bisschen egal, was wir sagen. Das, wie wir da sind, ist wesentlicher. Meine Erfahrung ist, dass es für beide Seiten hilfreich und unterstützend ist, wenn Eltern und Angehörige von schwer kranken Kindern auf die Potenziale ihrer Kinder schauen können. Auf ihre Kraft, ihre Stärken, ihren Mut und ihre ganz eigene Weisheit, mit dieser Situation umzugehen. Das gilt übrigens für jeden Menschen ;0)

Das versuchen wir auch als Klinikclowns. Immer wieder den Blick auf die Bereiche zu richten, die gesund sind, auf die Fähigkeiten, die da sind und auf das, was möglich ist. Dadurch, dass wir das Gesunde sehen, beginnt es auch im Gegenüber zu schwingen, es geht in Resonanz. So bewegen wir uns gemeinsam in eine positive, leichtere Energie, die der Heilung dient und den Moment heller werden lässt.

Wie sehen eure Besuche bei den Senioren aus?

Ruth: Bei Erwachsenen sind wir nicht so knallige Clowns, sondern eher Personagen. Im Altenheim ziehe ich ein modernes, türkisfarbenes Dirndl an, dazu eine orange Strumpfhose mit getupften Kniestrümpfen und eine Blume im Haar – und immer meine kleine, rote Nase.

Ich erinnere mich an ein schönes Erlebnis im Altenheim. Wir waren zu zweit unterwegs, mein Kollege Sigi und ich, mit dem ich regelmäßig in diese Einrichtung gehe, besuchten ein älteres Ehepaar. Ihre Betten standen getrennt voneinander– seins links an der Wand, ihres rechts – und sie erzählten uns, wie gerne sie miteinander getanzt haben. Beide waren nicht mehr so beweglich und der Mann war fast blind. Sigi und ich stimmten ein Lied im Walzerrhythmus an. Wir sahen, wie ihre Gesichter zu strahlen begannen. Irgendwann tanzten wir Walzer zwischen den beiden Betten. Der Mann setzte sich auf, die Frau wurde aufmerksam. Es war, als ob sie durch unser Tanzen aktiviert wurden und selbst wieder zu tanzen begannen.

Zum Schluss haben wir dem Paar ein kleines, rotes Luftballon-Herz dagelassen, als Symbol ihrer Liebe. Wie schön, dass man so viele Jahre zusammenleben kann und immer noch so verbunden ist! Für uns war das ein berührender Moment, der gezeigt hat, wie stark ihre Verbindung ist – und wie zart und gleichzeitig kraftvoll diese Begegnungen sein können.

Wie schaffst du es trotz der schweren Schicksale, denen du begegnest, positiv zu bleiben?

Ruth: Da gibt es mehreres. Zum einen sind mein Kostüm und vor allem meine Clownsnase wie ein Schutz für mich. Dadurch erlebe ich die Menschen, die schwere Zeiten durchmachen, als Clownin und nicht privat als Ruth. Das gibt mir die Möglichkeit, mich emotional nicht so sehr von meiner Arbeit und den schweren Schicksalen mitreißen zu lassen. Außerdem fokussiere ich mich während meiner Einsätze auf das Strahlen hinter dem Schmerz, hinter der Krankheit, das meiner Meinung nach immer da ist. Unser Wesenskern ist heil und unzerstörbar. Und: Ich habe eine Spielpartnerin, einen Spielpartner an meiner Seite, die/der übernehmen kann, wenn ich zu sehr berührt bin, oder die/der danach auch zum Reden da ist.

Was hilft dir zur Regeneration?

Ruth: Zur Regeneration hilft mir die Natur. Die Ruhe. Die Schönheit. Die Geräusche. Die Düfte. Die Farben. Ich lasse meine Sinne frei. Manchmal fasse ich in die Erde und spüre, wie weich sie ist oder wie rau die Rinde eines Baumes ist, wie kühl sich Blätter anfühlen. Die Natur hilft mir in den Moment einzutauchen – und so wieder mehr und mehr in mich. Das macht mich ruhig und zufrieden. Ich schaue auch auf das, was an diesem Tag und im Clownseinsatz für mich beglückend, berührend war. Ich übe, meinen Blick immer wieder auch auf das „Positive“ zu lenken und für all das, was mir in Begegnungen geschenkt wird, dankbar zu sein. Auch mein Partner ist für mich für Austausch, Teilen und Miteinander-Sein wesentlich.

Liebe Ruth, vielen Dank für das interessante und offene Gespräch!

Porträt Ruth Wahl

(Foto: Clemens Rudolph)

Über Ruth Wahl

Ruth Wahl ist ausgebildete Schauspielerin, Theaterpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie arbeitet seit 2012 als Klinikclownin (www.klinikclowns.de), wofür sie regelmäßig an Fortbildungen, Workshops, Supervisionen und Coachings teilnimmt. Sie hat sich in Gewaltfreier Kommunikation (Rosenberg) weitergebildet und befindet sich derzeit in einer 3-jährigen Fortbildung für Somatic Experiencing (Traumatherapie für Schock- und Entwicklungstrauma). 2010 hat Ruth das „Theater mit Haut und Haaren“ gegründet. Seitdem tourt sie, zusammen mit einer Freundin & Kollegin, mit einem Theaterstück und Workshops zu Toleranz & Glück durch bayerische Grundschulen.

Mehr zu Ruth Wahl findest du unter: www.theater-mit-haut-und-haaren.de und www.lebendigsein.info

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